Was versteht man unter dem goldenem Schnitt?

Der goldene Schnitt, auch goldene Zahl, goldenes Verhältnis oder göttliche Proportion genannt, ist ein bestimmtes Teilungsverhältnis zweier Größen zueinander. Die berechnete Zahl wird mit dem griechischen Buchstaben Phi bezeichnet und entspricht etwa dem Wert 1,618. Im engen Zusammenhang steht die Fibonacci-Folge, eine Zahlenfolge, bei der jede Zahl die Summe der vorhergehenden zwei Zahlen ist: 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21 und so weiter. Das Verhältnis jeder Zahl zur vorhergehenden Zahl nähert sich dabei zunehmend 1,618 bzw. Phi an.

Geschichtlicher Hintergrund.

Erstmalig wird der goldene Schnitt um ca. 300 v. Chr. in Euclids Werk Die Elemente erwähnt, einer Abhandlung über Mathematik und Geometrie in der griechischen Antike. Euklid und andere frühe Mathematiker wie Pythagoras erkannten das Verhältnis, nannten es jedoch nicht „goldener Schnitt“. Erst sehr viel später wurde es zum Mythos. 1509 veröffentlichte der italienische Mathematiker Luca Pacioli sein Buch De divina proportione mit Illustrationen von Leonardo da Vinci. Paciolis Werk preist das Verhältnis als Darstellung göttlich inspirierter Schlichtheit und Ordnung.

Paciolis Abhandlung und da Vincis Illustrationen lenkten das Interesse auf den goldenen Schnitt. In den folgenden Jahrhunderten setzte sich die Auffassung durch, dass die Zahl ästhetisch ansprechend und ein mathematischer Ausdruck für Schönheit sei und dass auf dem goldenen Schnitt basierende Streckenverhältnisse, goldene Rechtecke und goldene Dreiecke sich durch die gesamte Kunstgeschichte ziehen.

Diagramm des goldenen Schnitts auf dem Foto einer Muschel

Die ästhetische Wirkung des goldenen Schnitts wurde von vielen auf seine Verbreitung in der Natur zurückgeführt. Beispiele sind die Proportionen einer Nautilusmuschel und des menschlichen Körpers, die aber von Individuum zu Individuum stark variieren können. Einige, aber nicht alle, Muscheln weisen die Proportion einer sogenannten goldenen Spirale auf. Die Schalenproportionen einer Nautilusmuschel bleiben zwar während ihres gesamten Lebenszyklus unverändert. Die Schale entspricht jedoch zumeist eher einer logarithmischen Spirale als einem Ausdruck von Phi.

Phi ist anderweitig in der Natur wahrnehmbar. Die Anordnung von Blättern und der Samen von Tannenzapfen entsprechen ungefähr dem goldenen Schnitt. Dies gilt auch für spiralenförmig angeordnete Blütenstände wie bei Sonnenblumen. Die Anordnung oder Verteilung gemäß Phi bedeutet, dass Blätter so wachsen, dass sie gleichmäßig verteilt sind und keinen Schatten auf andere Blätter werfen. Dieses Verhältnis wird als goldener Winkel bezeichnet.

Dass der goldene Schnitt im Design wirksamer als andere Proportionen ist, ist nicht bewiesen. Kunst- und Design-Schaffende sind jedoch stets um Harmonie, Ordnung und eine interessante Komposition bemüht.

Diagramm des goldenen Schnitts

Der goldene Schnitt in Kunst und Grafik-Design.

Einige Kunst- und Design-Schaffende haben ihre Werke bewusst auf den goldenen Schnitt ausgerichtet. Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte der berühmte Architekt Le Corbusier eine Proportionslehre auf Basis des goldenen Schnitts, die für viele seiner folgenden architektonischen Entwürfe grundlegend war. Der surrealistische Maler Salvador Dali schuf das Gemälde Das Sakrament des letzten Abendmahls auf einer Leinwand in Form eines goldenen Rechtecks. „Lateralus“ ist ein 2001 veröffentlichter Song der Progressive Metal-Band Tool mit von der Fibonacci-Folge inspirierter Taktart.

Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker erkennen den goldenen Schnitt auch im weltberühmten Kunstwerk Mona Lisa, dem Parthenon im antiken Athen und der Cheops-Pyramide. Meist lässt sich jedoch nicht nachweisen, dass das Prinzip so wie bei Le Corbusier, Dali oder Tool bewusst eingesetzt wurde. Ohne Entwurfsnotizen oder Spezifikationen wissen wir nicht, ob sich die Baumeister der Antike absichtlich an Phi orientiert haben.

Zeichnung eines Fuchses, die auf dem goldenen Schnitt basiert
Verschiedene abstrakte Bilder, bei denen der goldene Schnitt angewandt wurde

Der goldene Schnitt als Hilfsmittel bei deinen Designs.

Ästhetik und Design unterliegen keinen strengen mathematischen Gesetzen. Der goldene Schnitt ist nicht automatisch ein Garant für ein gutes Design. Er hilft dir aber, deine Komposition besser zu strukturieren und nicht optisch zu überladen, und sorgt für eine harmonische Bildgestaltung. „Bei einer komplexen Grafik mit vielen Elementen kommt es auf die richtige Platzierung an“, erklärt Grafik-Designer Jacob Obermiller. Der goldene Schnitt dient dir als Orientierungshilfe.

Nutze den goldenen Schnitt genauso wie die Drittel-Regel als Orientierung für den Bildaufbau, nicht als strenge, unumstößliche Regel zur Strukturierung deines Designs. Letztendlich kommt es auf die Bildaufteilung an. Eine Richtlinie für das Teilungsverhältnis ist dabei hilfreich. „Wenn alles wichtig ist, ist nichts wichtig“, meint Human Factors Engineering-Studentin Sara Berndt. Wenn du einfach jedes Bild zentrierst oder Text in einem einzelnen unausgerichteten Block anordnest, kann das auf Lesende, Betrachtende oder Nutzende befremdlich wirken. Mit dem goldenen Schnitt sorgst du für einen harmonischen Bildaufbau.

Design-Zeitschrift, bei der der goldene Schnitt angewendet wurde

Mit der Drittel-Regel und dem goldenen Schnitt lassen sich Variationen und Leerräume erzeugen, die Inhalte visuell ansprechend und leicht verständlich darstellen. „Der goldene Schnitt steht für das Verhältnis zwischen Leerraum und Bildbereichen, die die Aufmerksamkeit der Betrachtenden auf sich ziehen sollen“, erläutert Berndt. „Unsere visuelle Aufnahmefähigkeit ist begrenzt. Mit diesem Kompositionsprinzip kannst du Designs auf das Wahrnehmungsvermögen und das ästhetische Empfinden der Betrachtenden abstimmen.“

Der goldene Schnitt verhilft zu einem harmonischen, ausgewogenen und ästhetisch ansprechenden Design. Ein exaktes Verhältnis von 1:1,618 ist nicht nötig, solange du dem Grundprinzip folgst. Mit Adobe Illustrator kannst du deine kreativen Ideen in stilvolle Kompositionen umsetzen, unabhängig davon, welche Proportionen du verwendest.


Mitwirkende.

Jacob Obermiller, Sara Berndt


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