Video
Normalsicht: Definition und kreative Anwendung im Film
Die Normalsicht ist nicht nur beim Filmemachen ein Muss. Erfahre hier, warum die unauffällige Aufnahme auf Augenhöhe eine der grundlegendsten und am häufigsten verwendeten Kameraperspektiven in der Film-, Fernseh- und Videoproduktion ist.
Was ist die Normalsicht?
Die Normalsicht, auch Eye Level Shot genannt, ist genau das, wonach es klingt: Das Team positioniert die Kamera direkt auf Augenhöhe der Figur. Die Person wird dabei in der Regel von den Knien bis zum Kopf aufgenommen, mit sehr wenig Umgebungskontext.
Anstatt eine Szene zu dramatisieren oder die Perspektive der Zuschauenden zu manipulieren, zeigt diese Einstellung den normalen menschlichen Blickwinkel. Dadurch wird der Zuschauer oder die Zuschauerin mitten in die Szene versetzt.
Beispiele
Dafür komponiert das Kamerateam den Inhalt einer Reihe von Einzelbildern so, wie sie ihn durch das Objektiv sehen: Also wie die Schauspielenden positioniert sind, wie sie sich durch die Szene bewegen, das Bühnenbild, die Hintergrundkulisse und jedes andere Element, das die Kamera einfängt.
Wirkung
Regisseure und Regisseurinnen setzen Kameraperspektiven strategisch ein und nutzen sie für die kreative Kontrolle über die Erzählung. Sie können eine Geschichte mit hohen oder niedrigen Blickwinkeln gestalten. Diese bringen Zuschauer und Zuschauerinnen auf subtile Weise dazu, sich einer Figur entweder überlegen oder unterlegen zu fühlen, entweder verbunden oder entfremdet.
Die Normalsicht bietet vor allem einen neutralen Blick auf die Dinge. Durch die Perspektive auf Augenhöhe vermittelt sie den Zuschauenden ein Gefühl der Gleichheit. Dieser „Einer von uns“-Effekt kann dem Publikum helfen, sich auf eine Figur einzulassen.
Im Gegensatz dazu blickt die Kamera beim Low Angle Shot buchstäblich zu ihrem Motiv auf und lässt es größer und mächtiger wirken. Im High Angle Shot aufgenommene Figuren und Objekte erscheinen dagegen kleiner und verletzlicher als sie sind.
Beispiel: In Die Tribute von Panem hätte der Regisseur beispielsweise Katniss als überlebensgroße Superheldin darstellen können, indem er sie aus einem niedrigen Blickwinkel zeigt. Stattdessen sind wir dank der zahlreichen Aufnahmen in Normalsicht direkt bei ihr, wenn sie den Bogen spannt und bereit ist, sich ihrer Rebellenarmee anzuschließen.
Welchen Effekt hat die Normalsicht auf das Storytelling?
Auch die Verwendung eines neutralen Kamerawinkels ist also eine strategische kreative Entscheidung. Filmschaffende stellen die „Realität“ auf neutrale Weise dar, ohne die Perspektive offensichtlich zu verzerren. Dadurch fällt es dem Publikum leichter, sich ein Urteil zu erlauben und abzuwarten, wie sich die Ereignisse entwickeln werden.
Schonfrist für Bösewichte und Unsympathen
Das Publikum kann die Handlung objektiv beobachten und sich selbst ein Bild von den Vorgängen machen. Dadurch hast du etwas mehr Zeit, wenn du selbst zutiefst unsympathische Figuren einführen willst. Ein extremes Beispiel dafür sind die Eröffnungsszenen von American Psycho.
Für mehr Objektivität hinter dem Objektiv
Nicht immer steckt hinter der Normalsicht eine kreative Entscheidung: Wenn Filmschaffende oder Journalisten und Journalistinnen möglichst unparteiisch sein sollen, ist Neutralität auch für die Kamera ein Muss. Deshalb ist der Eye Level Shot die gängigste Methode, um Pressekonferenzen, Interviews oder Dokumentarfilme aufzuzeichnen.
Tipps zur Anwendung
Die Neutralität ist jedoch nicht der einzige Vorteil der Normalsicht. Die vertraute Perspektive kann auch dabei helfen, wenn du Barrieren zwischen dem Zuschauer und der Geschichte auflösen möchtest.
Nutze den Eye Level Shot also, wenn du einen der folgenden Effekte nutzen willst:
- Empathie auslösen: Die Begegnung mit einer Figur auf Augenhöhe und gleicher Ebene schafft eine Verbindung zwischen der Figur und dem Publikum. Das kann helfen, unsympathische Personen menschlicher darzustellen und sogar Mitgefühl für Psychopathen und Serienmörder auszulösen.
- Bindung stärken: Bei „normalen“ Figuren verstärkt die Normalsicht den Effekt, dass wir uns direkt in die Sichtweise einer Figur hineinversetzen können. Wir sind in ihren Köpfen, fast buchstäblich. Das ermöglicht eine intime Perspektive, während sich die Handlung entfaltet.
- Emotionen anfachen: Die Emotionen sind unmittelbarer und intensiver, wenn du einer Figur von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehst. Die Handlung scheint sich noch schneller zu entwickeln, wenn du einen Adrenalinstoß auf Augenhöhe miterlebst.
Beispiel: In der Liebeskomödie Die fabelhafte Welt der Amélie lässt uns die starke Bindung zur Protagonistin über die Normalsicht ihre Liebesgeschichte direkt miterleben. Wir werden immer emotionaler, wenn wir der schüchternen Pariser Kellnerin und ihrer Suche nach Liebe folgen.
Kritiker haben den Film für seine Kameraführung gelobt. Dadurch dass wir den Blickwinkel der Hauptfigur in intimen Kameraeinstellungen im Eye Level Shot teilen, sind wir direkt mit Amélie auf dem Montmartre und tauchen ganz in ihre Gefühlswelt ein.